Streiflicht 3
© Musik- und Wintersportmuseum

Streiflicht 3

„Nebengewerbe“ mit Millionenumsatz: Textilfabrikant finanziert Rathauseinrichtung

Am 15. Juli 1914 wurde das Rathaus Klingenthal eingeweiht. Insbesondere das Aufblühen des Musikinstrumentenbaus hatte ein steigendes Selbstbewusstsein der Einwohnerschaft zur Folge. Um 1900 erfolgte der Bau des Marktplatzes und 1913 ein Prestige trächtiger Bau, welcher als Rathaus das längst zum Bürgerlichen geneigten Selbstverständnis der Einwohner weithin sichtbar machen sollte. Die Innenausstattung des Sitzungsaales wurde dabei nicht von öffentlicher Hand, sondern von einem Privatmann bezahlt. Doch kein Vertreter des Musikinstrumentenbaus, sondern ein reicher Textilfabrikant gab das Geld dafür: Kommerzienrat Friedrich Hugo Surmann.

Bei den Anträgen zur Erreichung der Stadtgerechtigkeit des 19. Jahrhunderts im Schatten der Musikinstrumentenindustrie nur Rande erwähnt, spielte das Geld der Textilindustrie mit der Fabrikation von Weißwaren wie Spitzen und Stickereien beim Rathausbau eine Hauptrolle. In Zahlen gemessen gab es zwar im Raum Klingenthal weit weniger Textilfabrikanten, doch waren diese mindestens genauso wohlhabend wie die größten Musikinstrumentenfabrikanten und Verleger im Ort. So kam es auch, dass die Innenausstattung des Rathauses im kleinen und großen Sitzungsaal mit Holzvertäfelung und Mobiliar der Klingenthaler Spitzenfabrikant und Kommerzienrat Friedrich Hugo Surmann bezahlte. Die Klingenthaler Zeitung von 17. Juni 1914 berichtet wie folgt: „… innigen Dank dem Gemeindeältesten und Kommerzienrat Surmann, der die gesamte innere Einrichtung des Gemeinderats-Sitzungssaales in hochherziger Weise gestiftet und sich damit ein bleibendes Denkmal für alle Zeiten gesetzt hat.“

Automatenstickerei

Um 1908 führte die Firma W. Surmann Stickautomaten ein, welche die Produktion an Spitzen maßgeblich erhöhte, auch an jenem Standort an welchen Ernst Surmann wohnte, dem heutigen Wohn- und Geschäftshaus Auerbacher Straße 13. (zu DDR-Zeiten auch Gebäudewirtschaft).

Die Stickereifirma W. Surmann war damals schon das, was man heute wohl einen „Global-Player“ nennen würde: Annoncen bezeugen, dass die Firma Klöppelarbeiten im Raum Schneeberg fertigen ließ, Plauener Spitze produzierte, aber auch sämtliche anderen Hand- und Handmaschinenstickereiwaren wie Decken, Spitzenmeterware oder Gardinen mit Adler- und Tambourstickerei herstellte. Im Fundus des Musik- und Wintersportmuseums befinden sich Stickereivorlagen für die die Surmann`sche Produktion. Dem Kuratoriumsvorsitzenden des Museumsvereins Manfred Gäbler sind weitere Zeugnisse der Surmann`schen Familiengeschichte und Fabrikation im Museumsfundus zu verdanken. Nach Recherchen des (verstorbenen) Museumsvereinsmitglieds Erhard Sandner hatte die Firma mit Stammsitz in Klingenthal und Nebensitzen in Schneeberg und Plauen um 1913 insgesamt 1000 Mitarbeiter und machte einen jährlichen Umsatz von 2,5 Millionen Goldmark!

Im Ausgabejahr hatte die Goldmark im Vergleich zu heute 128 Euro Kaufwert, der Umsatz wäre also mit heutigem Maßstab auf 320 Millionen Euro hochzurechnen. Zwar ist Umsatz nicht dem Gewinn gleich zusetzen, doch gehörte Kommerzienrat Friedrich Hugo Surmann damit zweifellos zu den wohlhabendsten Einwohnern des Tales und war vielleicht sogar der reichste Fabrikant seiner Zeit im Ort. So war es für ihn wohl eher eine gesellschaftspolitische Formsache, sich an der Innenausstattung des Rathauses zu beteiligen. Der auch lokalpolitisch engagierte Surmann hatte die entsprechende Außenwirkung im Blick: Auch in der Familien- und Firmengeschichte vor und nach ihm hatte es Ereignisse gegeben, welche die Fabrikantenfamilie werbewirksam für sich nutzen konnten. Vater und Firmengründer Friedrich Wilhelm Surmann begrüßte am 13. Juli 1882 König Albert von Sachsen. Dem König lag besonders viel an einer Varianten reichen Industrie in seinem Land und so besichtigte er während seines Aufenthalts im Klingenden Tal nicht nur die Leiterd`sche Akkordeonfabrikation mit Dampfbetrieb in Brunndöbra, sondern eben auch die größte Spitzenfabrikation Klingenthals. Sohn Friedrich Hugo Surmann wiederum begrüßte am 26. Juni 1906 König Friedrich August III. von Sachsen in Klingenthal. Als Kommerzienrat und einflussreicher Kommunalpolitiker nahm dieser längst erheblichen Einfluss auf die Geschicke der Gemeinde. Nicht zuletzt auch mit dem Bau des Rathauses und der in der Art der Gründerzeit gefassten Vertäfelung und Ausstattung machte der Fabrikant Surmann deutlich wonach die Gemeinde strebte: Geltung. „Weltgeltung“ hatte auch der fähige Geschäftsmann Surmann mit seiner Firma längst erreicht: Niederlassungen in London, Australien, ein umfangreiche Geschäfte in den USA und Argentinien sowie Japan hatten Surmann zu einem reichen Mann gemacht.

Dieser Gemeindeälteste und Kommerzienrat Surmann regte laut dem Chronisten Kurt Erich Dörfel 1915 auch an, sich erneut mit der Erreichung der Stadtgerechtigkeit zu befassen. Hierfür sollte ein juristisch gebildeter Gemeindevorsteher eingestellt werden. Als Kandidat fasste er jenen Dr. jur. Willy Otto Ungethüm ins Auge, der dann auch zum Gemeindevorsteher und 1919 zum ersten Bürgermeister der Stadt Klingenthal gewählt wurde.

Das Feuerwerk wider der Sozialdemokratie – Raketen für Reichpräsident Hindenburg

Die Weimarer Republik war geprägt von politischen Grabenkämpfen. Nicht nur im Reichstag oder in großen Städten, sondern auch auf dem abgelegenen Land war die Zerstrittenheit zwischen Parteien, politischen Einstellungen und Ideologien deutlich vernehmbar. Raue Umgangstöne, ein drastisches Vokabular und wilde Unterstellungen prägten auch auf lokaler Ebene die Politik. Zeugnis dieser Zeit in Klingenthal ist ein Vorgang, dessen Originalbriefwechsel heute im Sächsischen Staatsarchiv Chemnitz bewahrt wird:

Anlass dazu gab Textilfabrikant Ernst Surmann (Bruder von Kommerzienrat Friedrich Hugo Surmann), welcher aus Freude über den Ausgang der Reichspräsidentenwahl 1925 zu Gunsten Paul von Hindenburgs Böllerschüsse abfeuern ließ. Klingenthals Bürgermeister Hugo Zimmermann verhängte daraufhin ein Bußgeld über welches sich Ernst Surmann schließlich bei der Amtshauptmannschaft in Zwickau beschwerte und eine Maßregelung für das Stadtoberhaupt verlangte. In Surmanns Beschwerdebrief heißt es: „Am Montag, den 27. April, habe ich aus Freude über den Ausfall der Reichpräsidentenwahl gegen 7.15 Uhr vormittag von einem meiner Angestellten in meinem Garten 4 Feuerwerkskörper abbrennen lassen und habe daraufhin vom hiesigen sozialdemokratischen Bürgermeister Dr. Zimmermann eine Strafverfügung in Höhe von M. 25,- zuzügl. M. 5,- Gebühren (…) erhalten.“ Ort des Geschehens war laut dem Adreßbuch für Klingenthal und Umgebung aus dem Jahr 1924 die heutige Auerbacher Str. 13 – ein Wohn- und Geschäftshaus, in dem sich früher neben Produktionsräumen auch die Wohnung des „Fabrikbesitzers Ernst Surmann“ befand. Der besagte umzäunte Garten war vermutlich das Gelände des heutigen Stadtparks, welches sich damals im Besitz der Familie befand.

Paul von Hindenburg war im zweiten Anlauf zum Reichpräsidenten gewählt worden. Als Vertreter des antirepublikanischen Reichsblocks gewann er gegen Wilhelm Marx, den republikfreundlichen Zentrumspolitiker. Ernst Surmann unterstellte Dr. Hugo Zimmermann politische Parteinahme, der Ausgang der Wahl habe bei Dr. Zimmermann zu persönlicher Unzufriedenheit geführt. Ernst Surmann gehörte nicht nur einer der reichsten Fabrikantenfamilien des Klingenden Tales an, sondern auch einer einflussreichen politisch engagierten Familie, welche Kontakte bis in höchste Kreise besaß: Mehrfach bestand Kontakt zum Sächsischen Königshaus, Bruder Friedrich Hugo Surmann war Kommerzienrat und lenkte die politischen Geschicke Klingenthals aktiv mit. So argumentiert auch Ernst Surmann, dass ihm ein „befreundeter Bürgermeister eines anderen Ortes“ versichert habe, dass es dieser „nicht gewagt haben würde“ eine derartige Strafe zu verhängen. Der Ton im insgesamt 8-seitigen Brief wird schließlich rauer: Ernst Surmann unterstellte dem sozialdemokratischen Bürgermeister – von Beruf Lehrer und nicht wie üblich ein Jurist – mangelnde Sachkenntnis und emotionale Unsachlichkeit, genauso wie Dr. Zimmermann den Aufmarsch der Werwolf-Bewegung einen Tag vor der Wahl durch seinen Stellvertreter verbieten lassen hatte. - Der Vorsitzende der paramilitärischen und rechtsgerichteten Werwolf-Bewegung war Ernst Surmanns Schwager, der Mund- und Handharmonikafabrikant Kurt Weidlich aus Brunndöbra. So habe Dr. Zimmermann nun auch an Surmann selbst die Enttäuschung über den Wahlausgang auslassen wollen. Ernst Surmann lässt im Brief an die Amtshauptmannschaft keinen Zweifel daran, dass er sich republikfeindlichen und nationalsozialistischen Ideologien näher fühlte, als den republikfreundlichen Ideen der Sozialdemokratie, dessen Lager eben jener Bürgermeister Dr. Hugo Zimmermann angehörte. Surmann berichtet vom „Terror welcher von einer kleinen Gruppe von Sozialdemokraten ausgeübt wird“. Was die Wahl des neuen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg anbetraf, begründete Surmann die „kleine Gruppe“ mit Zahlen: In der Stadt Klingenthal erhielt Hindenburg 1757 Stimmen, 1002 Stimmen fielen auf Wilhelm Marx und 156 Stimmen auf Ernst Thälmann.

Surmann verlangte im Brief schließlich von der Amtshauptmannschaft dass die „Sozialistischen Stadtratsmitglieder angewiesen werden“, den „bürgerlichen Elementen“ gleiche Rechte einzuräumen und diese nicht weiter zu benachteiligen. Die demokratische Ordnung von Amts wegen funktionierte jedoch noch auf sachlicher Basis und Ernst Surmann erhielt nach Anhörung des Bürgermeisters Dr. Zimmermann eine für ihn enttäuschende Antwort: Das Klingenthaler Stadtoberhaupt habe richtig gehandelt und man könne „keine Verfehlung“ erkennen. Für Surmann muss es wenig später schließlich noch einen besonders glücklichen Moment gegeben haben: Die postalische Adresse für die Familienvilla in Sichtweite gegenüber („Kreml“) lautete zu Ehren des Reichspräsidenten schließlich „Hindenburgstraße“. Aber die Geschichte nahm ihren eigenen Lauf: 1933 ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg den Nationalsozialisten Adolf Hitler zum Reichskanzler. In der Gegenwart trägt die Straße den Namen des Theologen Dietrich Bonhoeffer, der am Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt war und noch am 9. April 1945 dafür hingerichtet wurde. Ernst Surmann selbst starb bereits 1935 in einem Sanatorium in Bad Elster. (XB)

 

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